Der Panamakanal - Das Moderne Wunderwerk
Bei einer Fahrt durch den Panamakanal erfahren Sie mehr über seine Geschichte und erleben ein unglaubliches Meisterwerk der Ingenieurskunst – ein absolutes Muss.
RODERICK EIME
Die Äquatorsonne geht hinter den Bäumen unter und lässt den Himmel orangerot erstrahlen. In diesen Breitengraden geht die Sonne schnell unter und das farbenfrohe Schauspiel ist innerhalb von Sekunden vorüber.
Ich stehe hier am Gatunsee in Panama, einem riesigen von Menschenhand geschaffenen See, der die tiefliegenden Täler des Isthmus von Darien flutet. Plötzlich wird meine Sicht von einem gigantischen Containerschiff blockiert, das in die entgegengesetzte Richtung fährt, und so findet das herrliche abendliche Schauspiel ein jähes Ende.
Als dieser riesige Damm, der einen Grossteil des Panamakanals bildet, 1913 fertiggestellt wurde, staute er den größten künstlichen See der Welt und war der grösste Damm der jemals gebaut worden war. Um Ihnen ein besseres Bild davon zu vermitteln: Der 820 Meter breite Damm staut fünf Kubikkilometer Wasser. Das entspricht in etwa der fünffachen Grösse des Hafens von Sydney. Das Wasser treibt hydroelektrische Generatoren an, die alle Maschinen mit Strom versorgen, die erforderlich sind, um die riesigen Schleusen an beiden Enden des Kanals zu füllen. Das Befüllen des Gatunsees läutete das letzte Kapitel der Entstehungsgeschichte des Panamakanals ein – eine qualvolle Arbeit über 30 Jahre hinweg, ursprünglich in die Wege geleitet von dem berühmten Franzosen Ferdinand de Lesseps. Beflügelt von seinem spektakulären Erfolg beim Bau des Suezkanals trieb de Lesseps von Investoren riesige Geldsummen für das Projekt ein. Sein Glück war allerdings nicht von langer Dauer. 1889 war sein Unternehmen am Ende: Korruptionsskandale, technische Fehlkalkulationen und eine erschreckend hohe Todesrate unter den Mitarbeitern aufgrund einer Malaria- und Gelbfieber-Epidemie bedeuteten den Ruin.
1904, zehn Jahre nach dem Tod von de Lesseps, übernahmen die Vereinigten Staaten von Amerika das vom Pech verfolgte Projekt. Das französische Unternehmen wurde kurzfristig aufgekauft und man übergab der US Army die Kontrolle. Präsident Theodore Roosevelt war sich der strategischen und wirtschaftlichen Bedeutung des Kanals bewusst, der die Reise zwischen New York und San Francisco um beeindruckende 13.000 Kilometer verkürzen würde. Zusätzlich war es von sehr grossem Vorteil, die gefährliche Fahrt über Kap Hoorn am Südende Südamerikas vermeiden zu können. Nach zahllosen Kontroversen rund um die Kosten und die Strapazen fuhr dann schließlich 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, das erste Schiff durch den Panamakanal, der nun den Atlantik mit dem Pazifik verbindet.
Heute steht die zehnstündige und 80 Kilometer lange Fahrt durch drei riesige Schleusen auf der Wunschliste vieler passionierter Reisender ganz oben. Für mehr als ein Jahrhundert war die Breite der Schiffe, die den Kanal passieren konnten, aufgrund der Abmessungen des Kanals beschränkt. Erst kürzlich wurde der berühmte Wasserweg verbreitert, sodass nun auch grössere Schiffe den Panamakanal durchfahren können. Kleinere Schiffe, wie die von Hurtigruten Expeditions, stellen für die massiven Mechanismen, die es jedes Jahr mit 14.000 Wasserfahrzeugen zu tun haben, jedoch keinerlei Herausforderung dar.
Eine Fahrt durch diese gigantischen Schleusen kommt für Weltreisende dem Gewinn einer Goldmedaille gleich. Ich schaue begeistert zu, wie winzige Lokomotiven, die als Mulis bezeichnet werden, sich mit riesigen Seilen an das Schiff hängen und es an der Pazifikseite des Kanals in der Nähe von Panama City durch die Dreifachschleuse bei Miraflores leiten. Jedes Mal, wenn sich die 600 Tonnen schweren Tore öffnen und schliessen, werden 101.000 Kubikmeter Wasser durch die riesigen Schleusen des Kanals gepumpt, und die hinein- oder herausfahrenden Schiffe werden fast 20 Meter angehoben oder abgesenkt. Zuvor hatte ich mir noch das Besucherzentrum angeschaut, von dem aus man den gesamten Komplex im Blick hat. Dann habe ich mich zu den anderen Zuschauern auf den grossen Balkonen gesellt, um zu beobachten, wie die riesigen Schiffe sich durch die Barrieren manövrieren. Im Besucherzentrum sind Modelle und Diagramme zu sehen, die den Betrieb und die Geschichte dieses Wunderwerks der Technik erklären.
Passagierschiffe machen nur einen winzigen Bruchteil des Kanalverkehrs aus, aber es ist für jedes Wasserfahrzeug ein teurer Spass: die durchschnittliche Benutzungsgebühr liegt bei 60.000 USD. Die höchste Gebühr aller Zeiten wurde 2010 von einem riesigen Kreuzfahrtschiff bezahlt und betrug 375.000 USD, die niedrigste lag bei 36 Cent und wurde von dem Reiseschriftsteller und Abenteurer Richard Halliburton bezahlt, der 1928 im Verlauf einer Woche den Kanal durchschwommen hatte. Während am fernen Horizont die Sonne untergeht, kann ich nicht anders als verblüfft zu sein vom unglaublichen Umfang dieses Mammutprojekts, das nun zu den Sieben Weltwundern der Moderne zählt. Ich denke an die Ingenieure, die alles mit Lineal und Bleistift geplant haben und an die zahllosen Menschen, die ihr Leben ließen, um diese Pläne in die Realität umzusetzen.