Wie Wissenschaft und Forschung den Schiffsbau verändern
Polarexpeditionsschiffe gibt es in allen Formen, Grössen und Farben, aber dieses ist definitiv ein wenig grüner als die meisten anderen.
TEXT VON JEREMY DRAKE
Last updated 4. Januar 2023
Als der grosse Polarforscher Roald Amundsen 1911 als erster Mensch den geografischen Südpol erreichte, konnte er auf viele wissenschaftliche Erkenntnisse und Innovationen zurückgreifen, die er auf früheren Expeditionen erworben hatte. Nicht zuletzt diesen Erfahrungen ist es zu verdanken, dass die Expedition gelang.
Wenige Jahre zuvor hatte Amundsen, der als erster die tückische Nordwestpassage zwischen Atlantik und Pazifik durchquert hatte, von den Inuit gelernt, Kleidung aus Tierfellen zu nutzen, um zu überleben.
Zuvor hatte er sich auf die traditionellen schweren Pelze verlassen, die nicht mehr vor der Kälte schützten, sobald sie nass wurden. Dieses neue Wissen über die Thermik war für Amundsen und seine Mannschaft von entscheidender Bedeutung.
Inspirierende Entdeckerlust
Grosse Entdecker wie Amundsen hörten zu und nutzten die Erkenntnisse aus ihrer Erfahrung, um erfolgreich zu sein. Deshalb hat Hurtigruten Expeditions über 100 Jahre später – in einer Zeit, in der die Bedürfnisse der Umwelt und der Nachhaltigkeit unseres Planeten unser tägliches Handeln verändern – unermüdlich daran gearbeitet, das Erleben einer Expeditions-Seereise für seine Gäste neu zu definieren.
Die Leistungen von Amundsen sind eine historische Inspiration, wie Erkenntnisse und Innovation neue Wege ermöglichen. Es gibt nicht viele Menschen, nach denen ein Gletscher, ein grossen Teil des Südpolarmeers oder sogar ein Krater in der Nähe des Südpols des Mondes benannt wurden. Als Hurtigruten Expeditions das erste Batterie-Hybrid-Expeditionsschiff der Welt vom Stapel laufen liess, lag die Inspiration für den Namen daher recht nah.
Mit ihrem revolutionären neuen Hybrid-Antriebssystem, grossen Batteriepaketen, Wärmerückgewinnungssystemen und einem innovativen, wellenbrechenden Bugdesign ist die Roald Amundsen ein Schiff, das neue Massstäbe für umweltfreundliche Expeditionen setzt und die Vision des jungen Amundsen vom ultimativen Polarschiff aus dem Jahr 1882 aufgreift.
„In meiner Fantasie habe ich ein elektrisches Schiff erschaffen, das alle Arten von Eis durchbrechen kann", schreibt Amundsen als hoffnungsvoller Zehnjähriger in sein Tagebuch. „Ein Schiff, das elegant, furchtlos und unaufhaltsam durch das Nordpolarmeer direkt zum Pol segeln könnte.“
Spulen wir ins Jahr 2022 vor, und die Schiffe von Hurtigruten Expeditions – benannt nach Amundsen und anderen Entdeckern – tun genau das.
Fokus auf Nachhaltigkeit
Im Science Center auf Deck 6 von MS Roald Amundsen können sich die Gäste heute über Forschung, Nachhaltigkeit und innovative Entwicklungen informieren, die nicht nur auf diesem Schiff, sondern in der gesamten Flotte von Hurtigruten Expeditions eingesetzt werden.
Laut Tudor Morgan, einem der erfahrensten Antarktis-Experten von Hurtigruten Expeditions, ist der Schlüssel zur Innovation an Bord von MS Roald Amundsen der Einsatz umweltfreundlicher Technologien. Grundlegend ist hierbei das ausgeklügelte Batterie-Hybrid-System, das den Kraftstoffverbrauch und die Emissionen insgesamt erheblich gesenkt hat.
Einfach ausgedrückt werden die vier hochmodernen Triebwerke durch grosse Batteriepakete unterstützt. Auf den meisten Schiffen wäre ein zusätzlicher Motor erforderlich, wenn kurzfristig viel zusätzliche Energie benötigt wird. Auf MS Roald Amundsen jedoch kommen hier die Batterien zum Einsatz, die mithilfe elektrischer Energie die Spitzen des Energiebedarfs abdecken – ein so genanntes „Peakshaving".
„Das bedeutet, dass immer dann, wenn der Leistungsbedarf der Dieselmotoren einen Spitzenwert erreicht, die in den Batterien gespeicherte elektrische Energie genutzt werden kann, um diese Verbrauchsspitzen auszugleichen", so Morgan.
Und immer, wenn die Motoren mehr Energie erzeugen, als das Schiff benötigt, wird diese Energie in die Batterien eingespeist. Das ist so, als wäre die Roald Amundsen ein riesiger Toyota Prius oder einem Hybrid-Elektroauto auf See.
„Dies wiederum", so Morgan, „sorgt dafür, dass die Motoren stets mit optimaler Last laufen, was den Verbrauch und die Emissionen weiter senkt und die Motoren im Laufe der Zeit weniger belastet, was wiederum die Wartungskosten senkt."
Im Gegensatz zu anderen Expeditions-Schiffen, die in umweltsensible Gebiete einfahren, kann das Schiff für kurze Zeit allein mit seiner Batterie betrieben werden, was die Lärmbelästigung verringert und empfindliche Ökosysteme nicht stört. Darüber hinaus können die Batterien als Energiequelle dienen, wenn die Schiffsmaschinen aus irgendeinem Grund nicht genutzt werden können oder sollen.
„Anstatt nur auf den Dieselgeneratoren und den entsprechenden Kraftstoffverbrauch zu setzen, hat die Roald Amundsen die Möglichkeit, auf das saubere Batteriesystem umzuschalten", sagt Morgan.
Wärmerückgewinnung
Wie bei jedem herkömmlichen Motor – in einem Lastwagen oder auch in einem Rasenmäher – ist Wärme eigentlich ein unerwünschtes Nebenprodukt. Auf MS Roald Amundsen wird die Wärme durch eine innovative Wärmerückgewinnungsanlage auf dem Schiff genutzt, indem die Kombüse, die Belüftungssysteme und den Infinity-Pool mit der notwendigen Wärme versorgt werden.
„Dadurch können wir verhindern, dass diese Wärme verschwendet wird. Sogar die Duschen in den Kabinen profitieren von dieser zurückgewonnenen Wärme“, erzählt uns Morgan. „Getrennte Kühlnetze für hohe und niedrige Temperaturen optimieren die Wärmeenergie und verteilen sie auf verschiedene Bereiche des Schiffs.“
Vor einem Jahrhundert ermöglichte eine Innovation – die Nutzung von Tierfellen als Kleidung – der Expedition von Amundsen, durch besseren Schutz weiter zu gelangen als allen anderen Entdeckern.
Heute trägt auch die Roald Amundsen „neue Kleidung" in Form eines patentierten und bis zur Perfektion getesteten wellenbrechenden Bugdesigns. Der schräge Bug reduziert die Stampfbewegungen des Schiffes und den daraus resultierenden Wellenwiderstand auf See erheblich – und das bedeutet letztlich weniger Treibstoffverbrauch insgesamt sowie eine ruhigere Fahrt für alle an Bord, zum Beispiel bei der Durchquerung von Gewässern wie der tückischen Drake-Passage.
Reise ins Unbekannte
Die Erforschung der Weltmeere und Pole ist heute ein ganz anderes Unterfangen als zu Zeiten von Roald Amundsen und seinen unglaublichen Entdeckungsreisen.
Aber die entlegenen Gebiete der Erde üben weiterhin eine einzigartige Anziehungskraft auf uns aus, und Innovationen bieten die Möglichkeit, diese Gebiete zu erforschen. Wissenschaft und neue Technologien werden es Reisenden ermöglichen, diese entlegenen Gebiete zu entdecken.
Diesmal sind allerdings keine Tierhäute und -felle erforderlich – nur eine warme Dusche in der Kabine, bei der man kein schlechtes Gewissen haben muss.