Reise ins Unbekannte
Als sei ein Winter inmitten der eisigen Arktis – inklusive unfreiwilliger Verlängerung – nicht schon hart genug gewesen, bereitet sich Polarforscherin und Wissenschaftlerin Hilde Fålun Strøm zurzeit auf eine Wiederholung dieses Abenteuers vor.
LEAH GLYNN
Vermutlich hatten die wenigsten von uns schon als Kind den Wunsch, ihr Leben in den isoliertesten und kältesten Teilen der Welt zu verbringen. Ganz anders Hilde Fålun Strøm: Sie war bereits in ihren ersten Lebensjahren wie besessen von allem, was mit Kälte und Eis zu tun hatte.
„Schon als kleines Kind war ich im Winter ganz wild auf Schnee und Eis“, erinnert sich Hilde an ihre Kindheit, die sie mit ihrem geliebten Hund Nanok auf dem Hundeschlitten verbrachte. „Es war mein Traum, ganz in die Natur einzutauchen.“
Ein paar Jahrzehnte sind seither vergangen. Inzwischen hat Hilde 25 Jahre in Spitzbergen, einem norwegischen Archipel, gelebt. Sie arbeitete als Produktmanagerin für Hurtigruten, nahm an langen Aufenthalten in abgelegenen Hütten teil und ging auf Jagd-, Ski- und Schneemobil-Expeditionen.
Und es sind genau diese bemerkenswerten Erfahrungen – und die wertvollen Fähigkeiten, die sie sich im Laufe ihres Lebens aneignete –, die sich in Hildes jüngster Mission als besonders wichtig erwiesen haben: Im Rahmen des Projekts „Hearts In The Ice“ verbrachte sie neun Monate mit der in Norwegen geborenen und in Kanada aufgewachsenen Expeditionsreisenden Sunniva Sorby in einer entlegenen Trapperhütte. Begleitet von einem verlässlichen alaskischen Malamute namens Ettra machten die beiden Abenteurerinnen sich auf, um den Klimawandel zu dokumentieren. Und ganz nebenbei waren sie die ersten Frauen, die ohne männliche Begleitung in der Arktis überwinterten.
„Es begann als Gelegenheit, eine Plattform für den Dialog über den Klimawandel zu schaffen und etwas zu tun, das die Menschen dazu inspirieren sollte, sich zu engagieren und selbst einen Beitrag zu leisten“, sagt Hilde, die Sunniva 2016 auf einer Reiseveranstaltung in Alaska kennengelernt hatte.
Im September 2019 erreichten die beiden Bamsebu, eine historische 20 Quadratmeter große Hütte, die 140 Kilometer von Longyearbyen entfernt liegt. Das 1930 errichtete Gebäude verfügt weder über fließendes Wasser noch über Strom oder irgendeine Form der Isolierung.
Zu behaupten, diese Bedingungen seien anspruchsvoll, wäre eine hoffnungslose Untertreibung. Hilde zufolge war es bitterkalt und die Temperaturen sanken auf bis zu -34 °C. Der Wind war so stark, dass einmal sogar die Tür der Hütte aus den Angeln gerissen wurde. Motoren fielen aus, Gegenstände zerbarsten und die körperliche Arbeit war unerbittlich. Die Dunkelheit war erdrückend und natürlich war es auch mit einigen Herausforderungen verbunden, rund um die Uhr miteinander auf so engem Raum zu verbringen.
Und dennoch, so versichert Hilde es uns, war jeder einzelne Moment – die guten wie die schlechten – ein „Privileg“.
„Du lernst so viel über dich und die andere Person“, erklärt sie. „Es bleibt kein Freiraum, um sich über Kleinigkeiten zu ärgern.
Ich denke, wir haben es gelernt, unsere Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, gegenseitige Wertschätzung für die Beiträge zu zeigen, die jede von uns geleistet hat, und uns für einfache Dinge wie die Zubereitung des Abendessens oder das Holzhacken zu bedanken.“
Der Umgang mit all den unvorhersehbaren Elementen lässt die Forschungsarbeit der beiden Frauen und die daraus resultierenden Erkenntnisse noch beeindruckender erscheinen.
Ein besonderer Schwerpunkt lag auf der Anpassung der Eisbären an die Veränderungen in ihrer Umgebung. Hilde hatte insgesamt 52 Begegnungen mit diesen riesigen Raubtieren und zeichnete jede einzelne davon auf.
„Aufgrund des Mangels an Eis haben die Eisbären begonnen, ihr Verhalten zu ändern“, sagt sie. „Sie beginnen, an Land zu jagen, insbesondere Rentiere, was sehr ungewöhnlich ist. Sie versuchen, sich an ein wärmeres Klima anzupassen, aber die Veränderungen geschehen zu schnell.“
Die beiden hatten auch die Möglichkeit, wertvolle Proben von Salzwasser und Phytoplankton (winzige Algen, die für die Übertragung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre in den Ozean verantwortlich sind) zu sammeln sowie modernste und neueste Technologien wie Drohnen und elektrische Schneemobile zu testen, Mikroplastik zu sammeln und Wettergeschehen sowie Meereis zu beobachten.
Doch gerade, als die Expedition zu Ende gehen sollte, schlug COVID-19 zu. Ursprünglich sollten die beiden am 8. Mai dieses Jahres abgeholt werden, doch dann wurden sie darüber informiert, dass das Schiff, das die beiden Wissenschaftlerinnen sicher wieder nach Hause bringen sollte, sie erst im September zurückholen konnte.
„Wir fühlten uns zwar sicher, aber gleichzeitig so endlos weit weg von allem und jedem, den wir liebten“, sagt Hilde. „Aus der Ferne zuzusehen, wie unsere vertraute Welt zerbrach, hat uns wirklich das Herz gebrochen, auch wenn wir selbst uns wahrscheinlich am sichersten Ort auf der ganzen Erde befanden.“
Solch niederschmetternde Nachrichten hätten die beiden Frauen natürlich in die Verzweiflung treiben können, aber stattdessen machten sie sich wieder an die Arbeit und beschlossen, den Sommer damit zu verbringen, neue Tests durchzuführen und Daten zu sammeln – Feldforschung, die sich nun als umso wichtiger erwies, da der größte Teil aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufgrund des weltweiten Lockdowns diese nicht mehr betreiben konnte.
Und, wie Hilde lachend hinzufügt: „Wir waren ja bereits wahre Meisterinnen der Isolation, da wir das nun schon so lange gemacht hatten!“
"Fast ein Jahr, nachdem sie sich von ihrer Familie und ihren Freunden verabschiedet hatten, kehrten Hilde und Sunniva wieder in die Heimat zurück. Aber ihr Ausflug in die reale Welt sollte nicht lange dauern. Nachdem das Duo die Vorräte für einen weiteren langen Winter gepackt hatte, kehrte es erneut nach Bamsebu zurück.
„Wir werden wieder hart arbeiten – sowohl körperlich als auch geistig“, sagt Hilde nachdenklich. „Aber es geht nicht um uns, es geht um die gesamte Gesellschaft und all die vielen Beiträge, die in dieses Projekt geflossen sind.
Wir hoffen, dass wir andere Menschen dazu inspirieren können, etwas in ihren eigenen vier Wänden und in ihrem Leben zu verändern, und dass wir ihnen einige praktische Werkzeuge dazu an die Hand geben können.“
Während die beiden jetzt planen, die Forschung, die sie auf ihrer ersten Reise begonnen haben, fortzusetzen, wollen sie gleichzeitig einen viel stärkeren Schwerpunkt darauf legen, andere Menschen, insbesondere Kinder, durch Online-Vorträge und digitale Klassenzimmer über den Klimawandel aufzuklären.
„Sie sind unsere Zukunft“, sagt Hilde über die jüngere Generation. „Kinder sind bereits so kompetent, so wach und so engagiert. Es ist wirklich großartig und es macht so viel Spaß, sie noch mehr Dinge lehren zu können.“
Und da Hilde und Sunniva ihnen den Weg weisen, ihre Weisheit mit ihnen teilen und auf diese Weise etwas verändern, sieht diese Zukunft hoffnungsvoll aus."
Hilde Fålun Strøm und Sunniva Sorby forschen erneut von Bamsebu aus. Verfolgen Sie ihre Reise und spenden Sie für ihr Forschungsprojekt auf der Website.